Wir sind auf diese Schaltzentrale in unserem Kopf angewiesen, genauso wie wir auf ein schlagendes Herz angewiesen sind. Und da wir Menschen ungern von etwas abhängig sind, das wir nicht verstehen, forschen wir an unseren Gehirnen herum, was das Zeug hält. Dabei entstand aber schon der ein oder andere Irrtum. 

Viele dieser Mythen halten sich bis heute. Ich kann euch aber sagen, dass ihr nach diesem Beitrag nicht nur schlauer seid, sondern auch Online-Angebote wie »Welche Gehirnhälfte dominiert bei dir? Der 30-Sekunden Gehirntest« getrost in die Tonne treten könnt – oder nur noch daran teilnehmt, um euch darüber lustig zu machen. 

Also los, bitte einsteigen in den Mythen-Zug!

Mythos 1
Wir nutzen nur 10 % unseres Gehirns.

Die Wahrheit

Unser Gehirn ist sehr hungrig. Obwohl es nur 2 % unseres Körpergewichts ausmacht, braucht der Vielfraß 20 % der gesamten Energie, die wir unserem Körper über Essen zuführen. Da wäre es doch echt unfair, wenn sich unsere Hirnwindungen auf die faule Haut legen. Zum Glück tun sie das nicht. 

Wir nutzen unser gesamtes Gehirn. 

Und mehr noch: Wenn wir bestimmte Nervenzellen nicht brauchen, sterben sie ab. Unser Gehirn ist also sehr sorgfältig und schmeißt alle Nutznießer sofort raus. 

Ein einfacher Weg, um den Mythos auszuhebeln, ist ein Blick auf geschädigte Gehirne. Ein SWR Wissen-Beitrag beschreibt das sehr schön: Durch Unfälle oder einen Schlaganfall können bestimmte Teile des Kopfes kaputt gehen. Würden wir nur 10 % davon nutzen, dann würden die meisten Verletzungen ohne Folgen bleiben. Tatsächlich tragen Betroffene sehr oft Schäden davon. 

Natürlich arbeitet nicht alles in unserem Kopf jederzeit. Je nachdem, was wir tun, leuchten im Hirnscanner unterschiedliche Gehirnareale auf. 

Und: Wir schöpfen nicht 100 % unseres Gehirnpotentials aus. Denken wir an all unsere 86 Milliarden Neuronen mit etwa 100 Billionen möglichen Verbindungen zwischen diesen Nervenzellen scheint das auch fast unmöglich. Vielleicht liegt hier ein Körnchen Wahrheit im 10%-Mythos: Selbst wenn wir 100 % unseres physiologischen Gehirns nutzen, werden wir es nie schaffen, das gesamte Potential, das in unserem Kopf steckt zu 100 % zu entfalten. 

Mythos 2
Je größer das Gehirn, desto intelligenter die Person.

Die Wahrheit

Kommt es auf die Größe an? 

Kurze Antwort: Nach dieser Theorie wäre das schlauste Lebewesen auf der Welt der Pottwal mit seinem fast 10 kg schweren Gehirn.

Auch wenn wir die Körpergröße einberechnen, haut es nicht hin. Das beste Gehirn zu Körpermasse-Verhältnis hat die Ameise. Ich will diese Tiere nicht runtermachen, aber halte mich doch für ein klitzekleines bisschen intelligenter. 

»Ja aber Julia, es geht doch um Menschen und den Vergleich zwischen deren Gehirnen. Was haben Tiere jetzt hier verloren?«

Ok, meinetwegen. Dann die lange Antwort: 

Es besteht eine mäßige Korrelation zwischen der Größe des menschlichen Gehirns und vielen Intelligenzmaßen: Je größer das Gehirn eines Menschen ist, desto besser schneidet er oder sie im Durchschnitt bei IQ-Tests ab. Aber diese Zusammenhang ist recht klein und viele weitere Faktoren beeinflussen unsere Intelligenz. 

Welche Faktoren sind das? Manche sagen je faltiger die Gehirnoberfläche aka je mehr Windungen und somit Fläche, desto intelligenter. Andere Forschung fand einen Zusammenhang zwischen der Neuronendichte und wie hell wir im Oberstübchen sind. Wiederum andere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es auf die Dicke unserer Hirnrinde ankommt oder auf die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. 

Viele Möglichkeiten also. Auch wenn wir noch keine konkrete Antwort auf die Frage: »Was macht unsere Intelligenz aus?« haben, eines ist klar: Es ist definitiv komplizierter, als zu sagen: »Es kommt nur auf die Größe an.«

Mythos 3
Unsere rechte Gehirnhälfte denkt kreativ, unsere linke Gehirnhälfte logisch.

Die Wahrheit

Ganz ehrlich, ich wünschte dieser Mythos wäre wahr. Denn eine meiner Lieblingsnummern von dem amerikanischen Comedian Bo Burnham ist »Left Brain, Right Brain«, indem er wunderbar darstellt, was viele von uns glauben: Die rechte Gehirnhälfte ist für Kreativität, Emotionen und Spaß zuständig, während sich die linke rationales, logisches und analytisches Denken auf die Agenda geschrieben hat. 

Tatsächlich ist es so, dass unsere Gehirnhälften ständig interagieren und zusammenarbeiten – ähnlich wie es Bo am Ende seines Songs zeigt. 

Auch wahr ist, dass unsere beiden Hemisphären (»Gehirnhälfte« im Fachjargon für Angeber:innen) nicht exakt die gleich Aufgaben haben. Zum Beispiel steuert die linke Gehirnhälfte unsere rechte Körperhälfte und vice versa. Das gleiche gilt für das Sehen: Die Info aus dem rechten Auge, wir im linken Schädelteil verarbeitet und umgekehrt. Und Sprache ist hauptsächlich in unserer linken Kopfhälfte angesiedelt und unsere räumliche Wahrnehmung in der rechten.

Links und rechts haben also andere Aufgaben. Heißt das, Kreativität steckt in unserer rechten Hemisphäre? Wie immer in der Forschung lautet die Antwort: Es kommt drauf an. Das zeigt eine Studie mit Jazz-Musiker:innen. Die Gitarrist:innen mussten in dem Experiment zu einer neuen Akkordfolge improvisieren. Die Musiker:innen, die vergleichsweise unerfahren in Improvisation sind, zeigten hauptsächlich Aktivität in der rechten Gehirnhälfte. Bei denjenigen mit großer Improvisationserfahrung war dagegen vor allem die linke Hemisphäre gefragt. Fazit daraus: Auch unsere linke Gehirnhälfte ist kreativ und hat Rhythmus im Blut. 

Und sowieso sind unsere beiden hübschen Gehirnhälften miteinander so stark verbandelt, dass sie ständig Nachrichten miteinander austauschen und bei einem Kontaktabbruch starke Schäden davon tragen würden. 

Du willst noch mehr über’s Gehirn wissen?

Dann back mit mir einen Hirnkuchen und wir quatschen gemütlich darüber, warum die wichtigste Zutat dafür Mandeln sind. 

https://youtu.be/7KpED9IodAM


Quellen

Brain Myths Exploded: Lessons from Neuroscience (Englisch) von Neurowissenschaftlerin und Psychologin Dr. Indre Viskontas: https://www.thegreatcourses.com/courses/brain-myths-exploded-lessons-from-neuroscience

Gainotti, G. (2014). Why are the right and left hemisphere conceptual representations different?. Behavioural neurology, 2014.

Rosen, D. S., Oh, Y., Erickson, B., Zhang, F. Z., Kim, Y. E., & Kounios, J. (2020). Dual-process contributions to creativity in jazz improvisations: An SPM-EEG study. NeuroImage, 213, 116632.

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